Ukraine und Krim im Sommer 2004

Auf der Suche nach dem Döner ...

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Endlich, der Kalender verkündete den heißersehnten Urlaubsbeginn. Einen Tag vor Sommeranfang trafen wir uns bei bereits sommerlichen Temperaturen in Berlin Lichtenberg um den Schnellzug nach Kiew zu besteigen. Wie wird die zweieinhalbjährige Karina die lange Fahrt meistern? Unglücklicherweise befanden sich unsere Plätze in einem modernisierten Wagen. Keine Klappsitze mehr auf dem Gang, keine Fenster mehr zum Öffnen, eine meist nicht funktionierende Vakuumtoilette und scheppernde, giftgrüne Plastik an den Wänden. Augen zu und durch, da hatten wir doch schon schlimmere Sachen hinter uns. Bei dem Aufenthalt in Poznan gab es dann den nächsten Stimmungsdämpfer. Der für uns ab Warschau selbstverständliche und preiswerte UZ - Speisewagen verkehrt nicht mehr seit Fahrplanwechsel, meinte der Schaffner. Was hatte man nur aus „unserem“ schönen Zug gemacht, der totale Verlust der Reisekultur!
Die Cargozwillinge bekamen seltsamerweise gleich Hunger, und riesigen Appetit auf Döner...
Reiseproviant war natürlich nicht vorhanden, der Kriegsrat tagte.
Bahnhof Kowel Für den Nachmittag versprach der Fahrplan einen etwa 20 minütigen Aufenthalt in Kowel, die einzige Chance etwas Essbares aufzutreiben. Während wir die ukrainische Grenze bei strahlender Sonne passierten, zogen kurz vor unserem "Versorgungshalt" dicke Regenwolken auf. Genau als der Zug vor dem markanten Bahnhofsgebäude zum Halten kam entluden sich diese mit aller Gewalt. Dazu kam, dass wir in Badelatschen aus dem Zug mußten. Umziehen war unter Androhung der Todesstrafe von Olga verboten worden, denn Karina machte endlich etwas Mittagsschlaf. Also raus auf den Bahnsteig und erst mal nach einer Wechselstube gefragt. Die kam auch gleich in Form eines Schwarzhändlers angelaufen. Normalerweise machen wir das nicht, aber hier war keine Zeit um nach Alternativen zu suchen.

Markt in Kowel

Schnell ging es weiter zu einem Basar gleich neben dem Bahnhof. Vielleicht gibt es ja einen Dönerstand ...
In einem Kiosk wurde Pizza feilgeboten. Der Belag sah spannend aus und wir witzelten schon über die Folgen des Verzehrs. Noch viel spannender war aber die Geschwindigkeit die der Verkäufer an den Tag legte. Ja, für ihn war das wahrscheinlich Stress pur. Für uns auch, denn der Zug wartet garantiert nicht. Noch schnell etwas Wurst und Brot besorgt, bevor es durch Schlamm und teilweise knöcheltiefe Pfützen eilig zurückging. Klitschnass aber zufrieden erreichten wir unseren Wagen, wo sofort ein Teil der erstandenen Sachen verzehrt wurde. Die Pizza schmeckte besser als sie aussah und übel wurde auch niemandem. Während wir nun weiter Richtung Kiew fuhren sorgte uns das nächste größere Problem.

Von Deutschland aus war es unmöglich Fahrkarten für unseren Anschlußzug nach Dneprdsherdshinsk zu erhalten. Diesmal war das Glück auf unserer Seite. Während in Korosten noch einmal die Lokomotive getauscht wurde, schafften wir es Billets für die Weiterfahrt zu besorgen. Der Tag war gerettet, denn sonst hätte uns wahrscheinlich ein 6-stündiger Aufenthalt auf dem Kiewer Bahnhof bevor gestanden. So ging es dann nach nur einer Stunde in der ukrainischen Hauptstadt weiter. Karina hatte nach einem kurzen Stimmungstief ("Scheiß Zug") auch wieder Lust auf Bahnfahren und wir erreichten am nächsten Morgen unser Ziel. Erst mal ein wenig erholen, dann schnell zum Bahnhof um die Fahrkarten für die Krim zu besorgen und noch bei Lokführer Sergej vorbeizuschauen. Der freute sich riesig über unseren Besuch und wollte gleich ein Treffen mit seinen Kollegen organisieren, welches eigentlich schon vor einem Jahr stattfinden sollte.
Gesagt - getan und schon ging es zum Bahnhof Bagley. Dort warteten bereits die anderen in der Meldestelle und davor stand die altvertraute ChME3-1736. Bei ihr hatten die Abgase der örtlichen Schwerindustrie sichtliche Spuren hinterlassen. Kurz darauf fuhren wir in ein nahegelegenes Restaurant. Bei Leckereien der ukrainischen Küche wurden die allgemeinen Probleme der Eisenbahn erörtert. Erst zu später Stunde endete dieser internationale Lokführerstammtisch nicht ohne das Versprechen einer Wiederholung. Die nächsten Tage nutzen wir zu Ausflügen in die nähere Umgebung und Dnepropetrovsk. Dort trafen wir eine Bekannte von Olga, die uns nach Hause einlud. So weit, so gut. Nur verschwieg sie, dass die Wohnung von einem unerzogenen Rottweiler bewacht wird. Das Vieh versuchte zwischendurch mal eben Rico zu fressen. Transportstraßenbahn
Hilfe, bloß weg hier. Das gerufene Taxi zum Bahnhof war aber nicht weniger lebensgefährlich, was fast ausschließlich dem Fahrer zuzuschreiben war. Trotz aller Widrigkeiten kamen wir gesund zu Hause an.
ChMe3-2761 in Krementschug Am nächsten Morgen hieß es zeitig Aufstehen. In einer Fabrik sollte noch eine Werklok in Form einer TEP10 vorhanden sein. Sergej wollte uns chauffieren kam aber etwas später als verabredet, weil er noch eine Prüfung ablegen musste. Dafür hatte er seine Eisenbahneruniform an, da konnte ja fast nix mehr schief gehen. Bei einer kurzen Stippvisite am Bahnhof von Krementschug wurden mehrere ChME3 abgelichtet, bevor es im Wolga weiter ging. Dann endlich waren wir am Ziel, jetzt galt es die Lok finden. Zuerst versuchten wir offiziell ins Werk zu gelangen - vergebens. Außerdem gäbe es hier keine derartige Maschine. Jetzt blieb nur der Versuch durch die Hintertür. TEP10-333
Das Anschlussgleis hatten wir schon aus dem Auto gesehen. Vielleicht konnte man an der Werkseinfahrt etwas entdecken. Unsere Hartnäckigkeit wurde belohnt. Das Depot befand sich außerhalb des Betriebsgeländes. Jetzt zahlte sich die Uniform von Sergej aus, da sie den Zugang in die Halle erleichterte. Neben der angekündigten TEP10 fanden wir noch eine ChME3 und eine TEM2 vor. Schnell war die ganze Brigade zusammen gekommen. Ein paar mitgebrachte Fotos und Eisenbahnzeitungen wechselten die Besitzer und beseitigten Misstrauen. Man bot an das Objekt der Begierde für bessere Fotos ins Freie zu ziehen. Wir waren begeistert und selbst Sergej konnte es nicht fassen: noch nie zuvor hatte er solch eine Baureihe gesehen. Das Fahrzeug wurde von allen Seiten auf Film gebannt und auch ein Foto mit Brigade wurde gefertigt. Zeit sich zu verabschieden, die uniformierte Wachmannschaft des Grossbetriebes war auf das Spektakel aufmerksam geworden. Ärger und den dadurch möglichen Verlust der belichteten Filme galt es unbedingt zu vermeiden!
Im Auto machte sich dann großer Hunger bemerkbar, mit einer Einladung zum Mittagessen bedankten wir uns bei unserem Fahrer. Dieser schlug noch einen kleine Exkursion vor. In der Nähe soll eine Fischzucht liegen. Dort wird die hervorragende Ware direkt an der Strasse feilgeboten. Bei dieser Gelegenheit könnten wir noch ein Mitbringsel erstehen, welches sicherlich nach einer Reise erwartet werden würde, meinte Sergej. Kurz darauf lagen die geräucherten Köstlichkeiten im Kofferraum und es ging zügig heimwärts. Der nächste Programmpunkt unseres Ukraineurlaubs: die Reise zur Krim und deren Vorbereitung. Wie immer wollten wir den Nachtzug von Dnepropetrovsk nach Simferopol benutzen. Eigentlich recht angenehm, doch wenn man erst aufwacht wenn der Zug bereits im Zielbahnhof steht kann Hektik ausbrechen. MAZ-Kolone
ChME3 3274 in Simferopol So passierte es Rico samt Familie. Maik war davon ausgegangen, dass im Nachbarabteil alle wach wären, denn Karina erzählte bereits eine Weile. Zwar dauert es glücklicherweise immer etwas bis der Zug in den Abstellbahnhof gedrückt wird. Doch die bösen Blicke vom Zugpersonal waren vielsagend. Auf dem Bahnsteig wurden unsere Nerven erneut strapaziert. "Agenten" versuchten überteuerte Feriendomizile zu vermitteln. Eine neue Marketingstrategie die wohl in dieser Form auf Dauer kein Erfolg versprechen wird. Denn erfahrene Krimtouristen wissen: auf dem Bahnhofsvorplatz stehen genügend Taxis. Obus in Simferopol
Alushta Diese fahren den gewünschten Urlaubsort an und die Fahrer sind bei der Quartiersuche behilflich, natürlich nicht ganz uneigenützig. Einheimische bevorzugen die preiswerteste Variante, den Trolleybus. Diesmal wollten wir im Kurort Alushta ein paar schöne Tage verbringen und nach kurzer Suche fanden sich entsprechende Unterkünfte. Dabei musste man feststellen, dass die Preise erneut angezogen hatten. An Service und Umfeld hingegen wird meist wenig verbessert. Lange geht dies nicht mehr gut, denn schließlich warten im Westen Reiseveranstalter auch mit guten Angeboten auf. Wir liessen uns aber nicht die Laune verderben. Die nächsten Tage standen ganz im Zeichen der Erholung und Erkundung des Nachtlebens. Wir entdeckten dann endlich, was wir seit dem ersten Urlaubstag suchten - Döner. Sha'urma heisst das hier.
Reisende im Bf Simferopol Unser Heisshunger konnte bis zur Heimkehr nach Deutschland gestillt werden. Nach soviel Faulenzerei sollte wieder einmal eine Exkursion der einheimischen Eisenbahn gelten. Frühmorgens machten sich die Cargozwillinge auf zum Busbahnhof und suchten nach einer Transfergelegenheit Richtung Simferopol. Die stand bereits auf dem Busplatz. Schnell die Fahrkarten gekauft und rein in den Ikarus. Wir begegnen diesen Fahrzeugen in der Ukraine mit Vorsicht, seit dem wir in einem solchen schon fast einmal an Rauchvergiftung gestorben sind. Das Modell schien in Ordnung zu sein und nahm lautstark seine Arbeit auf. ChME3-6705 in Simferopol
Am Ziel frühstückten wir bei herrlichstem Wetter. Da es schnell gehen sollte ausnahmsweise im "Etwas anderen Restaurant". Danach widmeten wir uns voll dem Hobby. Im Halbstundentakt treffen lange Urlauberzüge aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion ein. Dabei faszinierte immer wieder die Ignoranz der Reisenden gegenüber den ein- und ausfahrenden Zügen. Unter Missachtung aller Gefahren wird der Bahnübergang noch kurz vor der Lokomotive überquert. Jeden Moment rechneten wir mit einem Unfall. Zum Schluss überaschte uns noch die UZ mit der ChS2-646, einer modernisierten Lok, die wir so bisher nur von Bildern aus Russland kannten. Zufrieden fuhren wir in einem Marshrutka zurück nach Alushta. Am Abend lockten wieder die Bars mit ihren Köstlichkeiten. Diesmal gerieten wir in eine, wo die Kellnerin stets das falsche Bier brachte. ChS2 646 in Simferopol
Achterbahn in Alushta "Unsere Sorte" stand deutlich sichtbar im Kühlschrank, aber sie behauptete felsenfest, dass diese ausverkauft sei. Es empfiehlt sich übrigens in der Ukraine ausdrücklich kaltes Bier zu bestellen, sonst bekommt man lauwarme Brühe. Die nächsten Tage genossen wir das schöne Wetter. Dabei galt Karinas Vorliebe den zahlreichen Hüpfburgen. Kam der Deutsche mit seinem Nachwuchs, dann hatten deren Besitzer Dollarzeichen in den Augen. Die Zeit verging wie im Flug und der Kalender mahnte bereits wieder zum Verlassen der Halbinsel. Die Rückreise nach Verchnedneprovsk verlief unspektakulär. Sonnenaufgang in Alushta
Dort gab es die verbleibenden Tage noch einiges zuerledigen. Den Besuch bei der örtlichen Feuerwache zum Beispiel, welchen Maik während eines Picknick organisiert hatte. Am meisten faszinierte uns dabei der Schaukasten vor dem Objekt. Es waren schreckliche Bilder von Brandunfällen mit verkohlten Leichen zusehen, die wohl alle durch Unachtsamkeit nach übermäßigen Alkoholgenuss passiert sind. Zum Glück hatten wir Karina nicht dabei. Drinnen gab es zwei der bekannten ZIL- Löschfahrzeuge, von denen jedoch nur eines einsatzfähig sein soll, etwas wenig für die Stadt fanden wir. Danach ging es ein letztes mal auf Fototour zum Bahnhof.
Stolizny Express Und dann kam er, der "Stolychni Express"! Nach mehrmaligen Warndurchsagen preschte eine ChS7 in atemberaubender Geschwindigkeit mit ihrem Zug heran. Fast vergaßen wir den Auslöser zu betätigen, uns klappte nur noch die Kinnlade herunter. Am Abend fiel unser geplanter Barbesuch buchstäblich ins Wasser. Nach einem Wolkenbruch war das städtische Stromnetz zusammengebrochen und wurde erst am folgenden Morgen wieder aufgeschalten. Das passierte die nächsten Tage noch mehrmals, moderner Heimelektronik ist hier gewiss kein langes Leben beschert. Das weckte Gedanken an den heimischen PC, DE1-013
Karina mit Begleitschutz vor welchen man recht bald wieder sitzen wird. Die Heimreise stand nämlich unmittelbar bevor. Das Fahrkartenproblem konnte wider Erwarten recht einfach an einem speziellen Schalter im Dnepropetrovsker Hauptbahnhof gelöst werden. Wobei die aufwendige, telefonische Bestellung in Kiew schneller als die reine Abholung der Billets erledigt war. Das lag aber an den Arbeitsgeschwindigkeiten der Schalterbeamtinnen.
Dann kam der Abschied und die Babushka weinte sehr, als ihre kleine Enkelin im Nachtzug nach Kiew entschwand. Kaum abgefahren kam auch schon die Schlafwagenschaffnerin und deutete auf unser Gepäck. Es sollte wegen Gewichtsüberschreitung einen Zuschlag gezahlt werden. Verständnislos erkundigten wir uns nach einer Waage und das Thema kam nie wieder zur Sprache.
Im "Kashtan" wurde es erst nach dem Grenzübertritt interessant. Kostenlose Getränke während der Fahrt wurden vom "Provodnik" für einen Coupewechsel versprochen. Da die Polen viele Fahrkartenkontrollen durchführen wolle er sehr gern gleich neben dem Dienstabteil schlafen, dagegen war nichts einzuwenden. Die Cargozwillinge plünderten die Bierreserven und beobachteten dabei seltsame Dinge. Rege Geschäftigkeit entwickelte sich um unser "altes" Abteil und drinnen wurde hörbar Klebeband meterweise verarbeitet. In stockfinsterer Nacht stoppte auf einmal der Zug, das Schaffnerhandy klingelte, UdSSR Fahrkarte
Türen flogen auf und es wurden mehrere Pakete rausgeworfen. Unglaublich, und uns tat der Mann schon in Dorohusk leid, als ihm der polnische Zoll zwei Müllsäcke voll Zigarettenstangen abnahm. Unser "Durst" war wohl auch etwas zu groß, denn kurz vor Berlin wollte er nun doch die Biere bezahlt haben. Na ja, der Preis war annehmbar, quasi Kulturbeitrag für die gebotene Show.
Das Erlebte macht natürlich Appetit auf eine weiter Reise ins Ukraineland!
Die ist sowieso unumgänglich, da die Babushka Karina wiedersehen möchte und Maik seiner Freundin Svetlana einen Heiratsantrag gemacht hat. Also freut Euch mit uns auf die Reise 2005, natürlich wieder hier nachzuvollziehen!

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